Des Projektmanagers Fluch hat eine genaue Bezeichnung: Teilzeitstelle. Damit passt Ihre Tätigkeit nicht in die Tabellen, und Sie haben zwar eine vollwertige Arbeit, aber trotzdem nur ein halbes Gehalt. Viele Projektmanager haben daher zwei Standbeine, aber ich kenne auch Fälle, die gleichzeitig an sechs Projekten arbeiten. So etwas kann ich mir nicht vorstellen, denn ich bin immer mit Herzblut bei der Sache – entweder gebe ich alles, oder ich lasse es ganz sein. Freilich trägt auch meine Projektstelle die Bezeichnung 0,75. Ich kann mich also voll und ganz meinem Projekt widmen, und zugleich habe ich Zeit „übrig“, um am weiteren Geschehen in unserem Geopark Ralsko teilzunehmen.
Alljährlich veranstalten wir im Geopark ein kleines, aber feines Landart-Festival. Mitten in der Natur, in einem Tal, wo vor Urzeiten einmal ein hübsches kleines Dorf stand, treffen sich Künstler, sind kreativ und präsentieren ihre Werke den Besuchern. Eine solche Idylle braucht freilich viel Arbeit und Vorbereitung. Wir machen das mit Liebe und brennen für die Sache. Dieses Jahr hatten wir die Idee, das Festival an einen anderen Ort zu verlegen. Auf dem weitläufigen Gebiet des Geoparks gibt es nämlich 20 Stellen, an denen früher einmal Dörfer gestanden haben. Das sind 20 Stellen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, haben wir uns gesagt und sind seit dem Herbst nach und nach alles abgelaufen und haben gesucht. Und wir haben gefunden. Für den aktuellen Jahrgang wurde Svébořice ausgewählt. Eine Lichtung im Wald, ein Bächlein, drei kleine Plattenbaubaracken noch von der Sowjetarmee und in den Wald geworfene Platten, als ob hier Riesen Domino gespielt hätten. So weit, so gut. Den Künstlern schickten wir Informationen über die neue Örtlichkeit, Unterlagen zur Geschichte der Gemeinde, und wir freuten uns darüber, dass wir der traurigen Historie des Dorfes jetzt ein neues, fröhliches Kapitel hinzufügen würden.
Google Earth hat uns gerettet. Wir wollte eine Karte der Örtlichkeit verschicken, und da war so ein komisches Fähnchen. Nach einiger Recherche im Web haben wir herausgefunden, dass zur selben Zeit und am selben Ort eine dreitägige Airsoft-Schlacht mit 1.800 Teilnehmern stattfindet. Und die Veranstalter hatten genau wie wir eine Genehmigung des Waldbesitzers, nur von einem anderen Förster. Das ist doch paradox – wir bemühen uns um die Wiederbelebung eines ehemaligen Armeegeländes, und 2.000 Möchtegern-Soldaten zerschießen uns das Festival! Aus dieser Schlacht treten wir den Rückzug an. Schließlich haben wir ja noch 19 weitere Dörfer, stimmt’s?
Die nächste Stelle, eine schöne Wiese mitten im Kiefernwald, Sandsteinfelsen, wunderschöne uralte und weitverzweigte Eichen. Im Geiste sehen wir schon bunte Hängematten in den Baumkronen und schwelgen in Behagen. Aber hier ist ein Landschaftsschutzgebiet, also müssen wir die Veranstaltung genehmigen lassen. „Ja, das ist möglich, aber Sie dürfen nur auf den ausgewiesenen Wegen gehen“, erklärt uns der Herr vom Landschaftsschutzpark. Aber das ist ein Festival, die Besucher werden über die ganze Wiese laufen, geben wir zu bedenken. „Ja, dann geht es nicht, auf der Erde brütet nämlich die seltene Waldlerche.“ Da haben wir’s!
Wir geben nicht auf, denn schließlich gibt es noch die schöne Stelle, wo kleine Kammern und Kavernen in die Felsen gehauen sind. Unsere Fantasie zaubert gleich Workshops für die Festivalbesucher in sie hinein. Ganz in der Nähe ist eine schöne ebene Wiese, dort wird die Bühne aufgebaut … Wird sie nicht. Die Wiese ist hinter einem Wildgehege, da könnten wir die Hirsche erschrecken. Wir wenden ein, dass wir keine Technoparty sind, sondern ein beschauliches Landart-Festival, wo höchstens Theater gespielt wird und Lieder gesungen werden (ohne Verstärker). Die Begründung, die wir daraufhin vom Waldbesitzer bekommen, ist dermaßen absurd, dass uns darauf keine Antwort einfällt. Da es sich um eine ruhige Veranstaltung handelt, könnten wir die neugierigen Hirsche anlocken, die sich dann vielleicht erschrecken und vom Schrecken einen Infarkt bekommen würden! Diese Logik ist einfach unschlagbar. Gut, eine Weile habe ich noch mit dem Gedanken eines Standes mit Erster tierärztlicher Hilfe für Hirsche gespielt, aber schließlich sind wir davon abgekommen und mit dem Festival an den ursprünglichen Standort zurückgekehrt.
Ach, die goldene Geologie! Auch wenn ich zugeben muss, dass es mir Spaß macht. An einem Tag untersuchen wir mit deutschen Geologen auf einer Exkursion einen Berg von Steinen in einem Kieswerk, am zweiten Tag kümmere ich mich um eine norwegische Künstlerin, die mitten in der Wildnis zwei Nähmaschinen braucht, und am dritten Tag sitze ich im Büro über den Tabellen und dem Projektfortschrittsbericht. Sie verstehen bestimmt, dass ich mit meinen Beschreibungen unseres Projektlebens niemals in diese lächerlich engen Spalten hineinpasse …