Notiz 12: Winter her oder hin

Unser Projekt neigt sich dem Ende zu, und außer fabelhaften Entdeckungsreisen erwartet uns jetzt noch die Aufgabe, das alles aufs Papier zu bringen. Diesmal aber nicht in den Tabellen des Projektfortschrittsberichts, sondern in einer Broschüre, die wir im Rahmen des Projektes herausgeben wollen.

Aber oha! Wir haben so viel gesehen, dass die vorgegebenen 80 Seiten nicht ausreichen. Jeder von uns hat eine andere Vorstellung davon, was in der Broschüre präsentiert werden soll. Jeder von uns hat eine andere Vorstellung davon, wie es in der Broschüre präsentiert werden soll. Jetzt müssen sich sogar die Kollegen Geologen zu einer publizistischen Tätigkeit bequemen.

Ich dachte, dass es einfacher wird, wenn draußen Winter ist und Schnee ihr geliebtes Gestein bedeckt und ihre Sehnsucht, draußen umherzustreifen, dämpft. Wie wenig habe ich die Geologie begriffen! Im Winter erwacht in der Seele des Geologen der Geomorphologe. Und der fängt an, draußen umherzustreifen, denn ohne Blätter an den Bäumen und im Idealfall mit Pulverschnee bestäubt zeichnen sich in der Landschaft so langsam die Linien der Landschaft ab. Der Durchschnittsbürger genießt diesen schönen Anblick, der Geomorphologe sieht in den Linien die Bewegung der tektonischen Platten, die Faltung, glaziale Serien, einstige Flussbette längst versiegter Flüsse und weiß Gott was noch … Kurz gesagt, er hat wieder einen Vorwand, unter dem Deckmantel der Wissenschaft draußen umherzustreifen und keine Lust, zu schreiben.

Natürlich sind im Projekt dazu wir da, die Nichtgeologen, also organisieren wir unermüdlich Arbeitstreffen, verteilen Aufgaben und schlagen uns heldenhaft mit den Ergebnissen herum, die sich von unseren Vorstellungen mal mehr, mal weniger unterscheiden. Ich muss zugeben, dass diese neue Ausrichtung des Projektes anfängt, mir Spaß zu machen. Unter unseren Händen entsteht etwas Großartiges, Konkretes, Greifbares. Und das trotz dieses seltsamen, schneelosen Winters, der einfach nicht mitmachen will.

Notiz 11: Sommerschule

Der Sommer steht in unserem Projekt im Zeichen der Sommerschule. Da trifft sich eine Truppe Studenten, Geologiefans und Fachleute und streift eine Woche lang durch Wiesen und Wälder, jubelt über jedes Steinchen und macht eine Wissenschaft daraus. So sieht das vielleicht für einen Laien aus; tatsächlich aber handelt es sich um fachspezifische Arbeit einschließlich Vorträgen, Seminaren und Diskussionen, bei denen ich unsere Dolmetscher immer zutiefst bewundere.

Die diesjährige Sommerschule befaßte sich mit dem Thema „Didaktik und Popularisierung der Geologie“. Oder auch: wie man ein guter Geoparkführer wird und aus der Geologie ein spannendes Abenteuer macht.

Als Projektmanager ist man einerseits Teilnehmer und andererseits für die Betreuung der Gruppe zuständig, also ist man praktisch Reisebegleiter. In der Praxis sieht das so aus, daß man andauernd alles neu berechnen muß. Beim Frühstück ist noch alles in Ordnung, denn die, die übernachtet haben, frühstücken auch. Dann kommt der einheimische Geoparkführer dazu, der zu Hause schläft. Also x+1. Man braucht x+1 Mittagessen, aber Vorsicht – die Teilnehmer sind teils Vegetarier, teils Fleischesser. Und schon hat man eine andere Formel, nämlich 3V+19F. Die gilt aber nur bis zu dem Moment, wo die ganzen Gourmets auf ihre Teller gucken. Sofort wird aus 3V eine ziemlich variable Größe, oder die Fleischesser geben einer momentanen Laune nach und überlegen es sich anders.

Der nächste Stolperstein kommt, wenn man zum ersten Mal ins Gelände aufbricht. Man will 22 Äpfel, 22 Schokoriegel und 22 Flaschen Wasser an die Gruppe ausgeben, aber 4 Äpfel, 2 Wasser und null Schokoriegel bleiben übrig. Dann fängt man an, die Gruppe unauffällig zu zählen und behilft sich im Geiste mit mnemotechnischen Tricks – 3 Männer, 3 Frauen, 4 Akademiker, 4 Deutsche, 2 patente Kerle, 6 aus dem kleinen Haus. Aber die Gruppe wimmelt ständig durcheinander, oder ein paar gehen zurück, um ihren Hammer zu holen, und wieder andere wechseln die Schuhe …

Und so geht es die ganze Woche. Man gibt sich Mühe, daß alle alles haben, und dabei lächelt man und tut so, als ob alles in Ordnung wäre. Auch wenn gerade ein Teil der Gruppe mit dem Auto wegfährt und man mitten zwischen den Felsen allein mit 18 Leuten zurückbleibt und ganz genau weiß, daß im Tal ein Kleinbus wartet, der nur 17 Plätze hat. Oder wenn bei der Besichtigung eines Kirchleins plötzlich die halbe Gruppe fehlt, und dann findet man sie auf dem Friedhof wieder, wo sie sich über die geologische Vielfalt der Grabsteine auslassen. Die Arbeit eines Reisebegleiters und eines Projektmanagers hat also viele Gemeinsamkeiten. Man muß organisieren, improvisieren und die Ruhe bewahren können, z.B. wenn man jemandem schon zum dritten Mal erklärt hat, daß es sich nicht um einen Produktionsfehler handelt, sondern daß die sagenhaften Socken von der SAB tatsächlich zwei unterschiedliche Farben haben. Auf den Vorschlag, die Socken doch untereinander auszutauschen, geht aber niemand ein, und dann kann man sich insgeheim einen Spaß daraus machen, zu raten, wer sich wohl als erster traut, das ungleiche Paar anzuziehen.

Jedenfalls hatte ich nach fünf Tagen einen Vogel, und immer wenn wir die Kinder aus der hiesigen Grundschule getroffen haben, habe ich die Lehrerinnen um die bunten Westen mit den großen Zahlen auf dem Rücken beneidet. Vielleicht kaufe ich solche beim nächsten Projekt.

Notiz 10: Mäusekontrolle

Jedes Projekt bedeutet auch eine bestimmte Menge an Papierkram. Im Großen und Ganzen ist das nachvollziehbar. Man muss die Finanzen im Auge behalten, die Buchhaltung und die Projektwebseite müssen in Ordnung sein, und man muss die Ziele erfüllen, die man sich für das Projekt gesetzt hat. In regelmäßigen Abständen informiert man dann die zuständige Kontrollinstanz mittels Projektfortschrittsberichten und Beleglisten über den Projektfortschritt.

Das wiederum bringt natürlich auch die Archivierung aller Unterlagen mit sich, die meist peinlich genau in Mappen und Ordner einsortiert werden. Man will einfach alles griffbereit haben. Außer den regelmäßigen Berichten kann nämlich auch eine Vor-Ort-Kontrolle vorbeikommen. Und dann zieht man den betreffenden Ordner heraus und hat alles zur Hand.

Soweit die Theorie. Bei uns hat sich neulich tatsächlich eine Vor-Ort-Kontrolle angekündigt, also haben wir die Ordner herausgesucht – und eine böse Überraschung erlebt. Den betreffenden Abschnitt der Buchhaltung hatte nämlich bereits eine Maus kontrolliert. Jedes geprüfte Dokument war sorgfältig mit einer Nagespur markiert. Und die Arbeit war offensichtlich äußerst zeitaufwändig gewesen, denn die Ärmste konnte nicht mal austreten. Sie hatte auch ihr Geschäft vor Ort verrichtet.

Es folgte eine Blitzaktion. Den gesamten Schrank mit den Unterlagen gründlich ausmisten. Alle Dokumente Seite für Seite durchgehen. Kopien kopieren, Originale retten. Die beschmutzen unteren Abschnitte abschneiden. Verschiedene Mittel gegen Mäuse kaufen. Zum Glück hatte das kleine Biest nur ein Halbjahr bearbeitet. Danach war es anscheinend ausgepowert und hatte den Beruf gewechselt.

Woher ist die Mäuseprüferin eigentlich gekommen? Wir haben im Herzen des Geoparks, inmitten der jungfräulichen Natur, einen Altan. Und auf dem Altan ein Klavier, für den Fall, dass sich mal irgendeine Muse hierher verirren sollte. Im Winter holen wir das Klavier immer ins warme und trockene Büro, damit es uns erhalten bleibt. Diesmal hatten wir es mitsamt der kleinen Mieterin hereingeholt. Und naiv geglaubt, dass unser Zusammenleben harmonisch sein würde. Aber jetzt haben wir ihr den Kampf angesagt!

Bisher führt das kleine Luder 1:0.

Notiz 9: Die Teilzeitstelle

Des Projektmanagers Fluch hat eine genaue Bezeichnung: Teilzeitstelle. Damit passt Ihre Tätigkeit nicht in die Tabellen, und Sie haben zwar eine vollwertige Arbeit, aber trotzdem nur ein halbes Gehalt. Viele Projektmanager haben daher zwei Standbeine, aber ich kenne auch Fälle, die gleichzeitig an sechs Projekten arbeiten. So etwas kann ich mir nicht vorstellen, denn ich bin immer mit Herzblut bei der Sache – entweder gebe ich alles, oder ich lasse es ganz sein. Freilich trägt auch meine Projektstelle die Bezeichnung 0,75. Ich kann mich also voll und ganz meinem Projekt widmen, und zugleich habe ich Zeit „übrig“, um am weiteren Geschehen in unserem Geopark Ralsko teilzunehmen.

Alljährlich veranstalten wir im Geopark ein kleines, aber feines Landart-Festival. Mitten in der Natur, in einem Tal, wo vor Urzeiten einmal ein hübsches kleines Dorf stand, treffen sich Künstler, sind kreativ und präsentieren ihre Werke den Besuchern. Eine solche Idylle braucht freilich viel Arbeit und Vorbereitung. Wir machen das mit Liebe und brennen für die Sache. Dieses Jahr hatten wir die Idee, das Festival an einen anderen Ort zu verlegen. Auf dem weitläufigen Gebiet des Geoparks gibt es nämlich 20 Stellen, an denen früher einmal Dörfer gestanden haben. Das sind 20 Stellen, die unsere Aufmerksamkeit verdienen, haben wir uns gesagt und sind seit dem Herbst nach und nach alles abgelaufen und haben gesucht. Und wir haben gefunden. Für den aktuellen Jahrgang wurde Svébořice ausgewählt. Eine Lichtung im Wald, ein Bächlein, drei kleine Plattenbaubaracken noch von der Sowjetarmee und in den Wald geworfene Platten, als ob hier Riesen Domino gespielt hätten. So weit, so gut. Den Künstlern schickten wir Informationen über die neue Örtlichkeit, Unterlagen zur Geschichte der Gemeinde, und wir freuten uns darüber, dass wir der traurigen Historie des Dorfes jetzt ein neues, fröhliches Kapitel hinzufügen würden.

Google Earth hat uns gerettet. Wir wollte eine Karte der Örtlichkeit verschicken, und da war so ein komisches Fähnchen. Nach einiger Recherche im Web haben wir herausgefunden, dass zur selben Zeit und am selben Ort eine dreitägige Airsoft-Schlacht mit 1.800 Teilnehmern stattfindet. Und die Veranstalter hatten genau wie wir eine Genehmigung des Waldbesitzers, nur von einem anderen Förster. Das ist doch paradox – wir bemühen uns um die Wiederbelebung eines ehemaligen Armeegeländes, und 2.000 Möchtegern-Soldaten zerschießen uns das Festival! Aus dieser Schlacht treten wir den Rückzug an. Schließlich haben wir ja noch 19 weitere Dörfer, stimmt’s?

Die nächste Stelle, eine schöne Wiese mitten im Kiefernwald, Sandsteinfelsen, wunderschöne uralte und weitverzweigte Eichen. Im Geiste sehen wir schon bunte Hängematten in den Baumkronen und schwelgen in Behagen. Aber hier ist ein Landschaftsschutzgebiet, also müssen wir die Veranstaltung genehmigen lassen. „Ja, das ist möglich, aber Sie dürfen nur auf den ausgewiesenen Wegen gehen“, erklärt uns der Herr vom Landschaftsschutzpark. Aber das ist ein Festival, die Besucher werden über die ganze Wiese laufen, geben wir zu bedenken. „Ja, dann geht es nicht, auf der Erde brütet nämlich die seltene Waldlerche.“ Da haben wir’s!

Wir geben nicht auf, denn schließlich gibt es noch die schöne Stelle, wo kleine Kammern und Kavernen in die Felsen gehauen sind. Unsere Fantasie zaubert gleich Workshops für die Festivalbesucher in sie hinein. Ganz in der Nähe ist eine schöne ebene Wiese, dort wird die Bühne aufgebaut … Wird sie nicht. Die Wiese ist hinter einem Wildgehege, da könnten wir die Hirsche erschrecken. Wir wenden ein, dass wir keine Technoparty sind, sondern ein beschauliches Landart-Festival, wo höchstens Theater gespielt wird und Lieder gesungen werden (ohne Verstärker). Die Begründung, die wir daraufhin vom Waldbesitzer bekommen, ist dermaßen absurd, dass uns darauf keine Antwort einfällt. Da es sich um eine ruhige Veranstaltung handelt, könnten wir die neugierigen Hirsche anlocken, die sich dann vielleicht erschrecken und vom Schrecken einen Infarkt bekommen würden! Diese Logik ist einfach unschlagbar. Gut, eine Weile habe ich noch mit dem Gedanken eines Standes mit Erster tierärztlicher Hilfe für Hirsche gespielt, aber schließlich sind wir davon abgekommen und mit dem Festival an den ursprünglichen Standort zurückgekehrt.

Ach, die goldene Geologie! Auch wenn ich zugeben muss, dass es mir Spaß macht. An einem Tag untersuchen wir mit deutschen Geologen auf einer Exkursion einen Berg von Steinen in einem Kieswerk, am zweiten Tag kümmere ich mich um eine norwegische Künstlerin, die mitten in der Wildnis zwei Nähmaschinen braucht, und am dritten Tag sitze ich im Büro über den Tabellen und dem Projektfortschrittsbericht. Sie verstehen bestimmt, dass ich mit meinen Beschreibungen unseres Projektlebens niemals in diese lächerlich engen Spalten hineinpasse …

Notiz 8: Die Mega-Konferenz

Alle Mühen, der Papierkram und das stundenlange Übersetzen haben sich ausgezahlt. Ich glaube, ich kann sagen, dass unsere Konferenz erfolgreich war. Falls ich je Bedenken hatte, dass es dabei gezwungen und trocken zugehen könnte, so hätte ich nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein können.

Der Anfang entsprach total dem Klischee von Krawatten und deutscher Genauigkeit. Alle Teilnehmer bekamen sorgfältig vorbereitete Materialien in der passenden Sprache und dazu noch ein Namensschild mit dem Projektlogo. Die Organisatoren hatten sogar Namensschilder in einer anderen Farbe (grün), damit auch ganz bestimmt alle kapierten, an wen man sich im Notfall wenden konnte. Die Technik funktionierte, die Dolmetscher waren kaum zu bremsen, und es gab Grußworte und Eröffnungsreden von Politikern.

Dann begann der erste thematische Block, und auf das Podium drängte sich eine höchst unorthodoxe kleine Gestalt in einem wilden Batik-T-Shirt, die ich zunächst für eine Studentin hielt, die sich hierher verirrt hatte. Es war aber die Vorsitzende des tschechischen Geopark-Rates, und auch ihre Präsentation war höchst originell. Und im gleichen Stil ging die ganze Konferenz dann weiter. Ich weiß nicht, warum es im Umfeld von Geoparks so viele interessante Leute gibt, aber gottseidank (oder Natur sei Dank) gibt es sie.

Vor der Mittagspause forderten uns unsere deutschen Kollegen – die mit den grünen Namensschildern – auf, hinauszugehen und ein Gruppenfoto an der Basaltsäule zu machen. Die Fotografin stand schon am Fenster bereit, und die grünen Geckos begannen, uns in Stellung zu bringen. Erst da bemerkte ich, dass auf dem Boden sorgfältig ein Rechteck mit Klebeband markiert war, damit alle aufs Bild passen. Das nenne ich perfekte deutsche Organisation.

Bloß die Ruhe und Gemütlichkeit, mit der unserer Projekt gerade läuft, machen mir ein bisschen Angst. Weil mir die Erfahrung sagt, dass es die Ruhe vor dem Sturm sein könnte. Na, wir werden ja sehen!

Notiz 7: Lost in Translation

Der Projektjanuar steht im Zeichen der Vorbereitung einer Konferenz. Bisher haben wir im Rahmen des Projektes hauptsächlich Aktivitäten im Gelände organisiert, jetzt kommt der offiziellere Teil.

Die Geologenkollegen lieben es allesamt, im Gelände zu arbeiten. Da ist ihnen keine Schlucht zu steil, kein Hügel zu hoch und kein Morast zu tief. Begeistert stochern sie im Lehm, klopfen mit ihrem Hammer jeden Stein ab, und mit offensichtlicher Freude kratzen sie Moos von den Felsen, nur um zu sehen, was sich darunter verbirgt. Die Idee einer Konferenz hat sie bisher noch nicht vom Hocker gerissen, aber wenn das Gelände unter der eisigen Umklammerung des Winters sowieso nicht zugänglich ist, warum eigentlich nicht?

Die Vorbereitung einer Konferenz ist vor allem mit einem unendlichen Strom von E-Mails verbunden. Mit meinem deutschen Kollegen schreibe ich mir an einem Tag mehr E-Mails als mit meinem eigenen Mann in einem ganzen Monat. Zum Glück brauchen wir keine Brieftauben mehr; ich wüsste nämlich nicht, wo wir eine solche Menge davon unterbringen sollten.

Dann braucht man noch Übersetzungen. Und Überredungskünste. Jeder Fachmann oder Politiker verspricht Ihnen im Voraus das Blaue vom Himmel, und dann müssen Sie ihn freundlich, aber beharrlich daran erinnern. Und Geologen sind da keine Ausnahme. Und selbst wenn Sie schließlich den versprochenen Text bekommen, haben Sie noch nicht ganz gewonnen. Eine Sprachversion reicht in einem deutsch-tschechischen Projekt einfach nicht aus. Sie brauchen eine Übersetzung.

Wenn Sie vielleicht unter der irrigen Vorstellung leiden sollten, dass der Übersetzer den Text liebkost, die richtigen Ausdrücke und Synonyme sucht, ihn überprüft, umschreibt und korrigiert, dann ist nichts weiter von der Realität entfernt. In erster Linie drängt die Zeit. Und Dolmetscher dolmetschen manchmal. Also setzen Sie sich selbst daran. Bei den ersten Texten macht es noch Spaß, aber dann kommt die sprichwörtliche harte Nuss. Zum Beispiel das Wort „Sinngesellschaft“. Zwischen einer Gesellschaft der Sinne und einer sinnlichen Gesellschaft gibt es einen Unterschied, der aber für die Autokorrektur nicht unbedingt ersichtlich ist. Dann wieder Sinnsuche, uff, und dieses Mal siegen Sie über die Technik. Aber ein winziger Moment der Unaufmerksamkeit genügt, und anstelle von „laufend“ schreiben Sie „läufig“, und Ihr deutscher Kollege schmunzelt insgeheim über diese ganz neue Sicht auf die Landschaftsentwicklung.

Schließlich haben wir alles geschafft, und so langsam freue ich mich auf die Konferenz, oder eher darauf, dass dieser Wahnsinn endlich aufhört. Und darauf, dass wir wieder ins Gelände gehen. Vielleicht lege ich mir auch einen Hammer zu.

Notiz 6: Trouble mit dem Mittag

„Auch der kürzeste Weg kann ein großes Abenteuer sein“, pflegte meine deutsche Oma Frida zu sagen. Sie war ein Original und hat zwei Weltkriege im Sudetenland überlebt, also wusste sie, wovon sie spricht. Ich habe naiv geglaubt, dass nichts schiefgehen kann, wenn man sich gut vorbereitet und alles plant. Wahrscheinlich hält sich Oma Frida jetzt irgendwo auf ihrer Wolke den Bauch vor Lachen.

Als wir im Oktober den Projektworkshop im Dezember vorbereitet haben, ist die Wahl auf die malerische Gemeinde Hammer am See gefallen. Sie liegt im Projektgebiet, direkt in unserem Geopark, und der Bürgermeister hat uns bereitwillig einen schönen Raum im Gemeindeamt empfohlen, vollausgestattet und mit Seeblick.

Die Verpflegung dürfte kein Problem sein, dachte ich. Ruf doch im Hotel Pazifik an, riet mir meine Kollegin Lenka, die die Gegebenheiten vor Ort kennt. Kein Problem, versicherte man mir dort, also zumindest nicht bis Ende Oktober, dann schließen wir wegen Umbau. „Macht nichts, wir rufen woanders an. Können Sie mir etwas empfehlen?“, fragte ich naiv. „Oh, hier gibt es im Winter überhaupt nichts“, versichert mir die nette Dame …

Im November konnten wir hervorragende Redner gewinnen und fingen an, uns auf den Workshop zu freuen. Blieb nur noch das Essen. Im benachbarten Stráž pod Ralskem ist eine Pizzeria, also werden wir das Essen dort bestellen. Das ist doch eine gute Idee! Kein Geschirr, kein Aufwand, und es wird sogar angeliefert. Wir bestellten alles telefonisch, und wieder wurde mir versichert, dass alles kein Problem sei. 15 Pizzen um halb eins nach Hamr, ganz wie Sie wünschen.

Am Tag vor dem Workshop fing es an zu schneien und zu frieren – kein Wunder im Dezember, aber trotzdem eine große Überraschung für die Tschechische Eisenbahn. Der erste Zug hat 5 Minuten Verspätung, der Anschlusszug schon 10 Minuten, und unterwegs kommen weitere 5 Minuten hinzu. Schließlich haben wir insgesamt eine halbe Stunde Verspätung. Zum Glück packen unsere fantastischen Projektpartner mit an, und alles wird noch rechtzeitig fertig. Die Technik macht etwas Umstände, aber endlich geht es los, die Vortragenden treffen ungeachtet des Schnees und des Glatteises pünktlich ein. Alles klappt, wie es soll.

Bis um halb eins. Keine Pizza. Um dreiviertel fährt ein Botenjunge auf dem Mofa vor und holt drei Pizzen aus dem Rucksack. Er sagt, dass er die nächsten in einer halben Stunde bringt, und verschwindet wieder. Ich bin entsetzt, und bei dem folgenden Telefonat mit der Pizzeria verliere ich die Contenance, wie mein Mann es nennen würde. „Unser Ofen ist kaputt, und der Monteur kommt in einer Stunde“, wird mir gesagt. Nur dass ich hier inmitten der malerisch verschneiten, aber völlig verlassenen Einöde 22 hungrige Geologen habe! Ich dränge darauf, dass sie sich sofort einen Plan B einfallen lassen, und der Held am anderen Ende der Leitung verspricht mir, 20 Schnitzel mit Pommes zu schicken. Also überrede ich den deutschen Doktor der Archäologie, dass das Programm geändert werden muss, nämlich dass wir mit dem Vortrag ohne Mittagessen anfangen, und wenn die Schnitzel kommen, unterbrechen wir. Er hält den kompletten Vortrag, bevor der Botenjunge wieder auftaucht, diesmal im Auto, und 10 Pizzen und drei Schnitzel hervorzaubert. Wie durch ein Wunder funktioniert der Ofen wieder, und der Botenjunge macht sich blitzschnell aus dem Staub. Die Geologen nehmen es mit Humor und essen bei geselligen Gesprächen alles restlos auf.

Als wir nach dem Workshop dem Bürgermeister die Schlüssel zurückgeben, erzähle ich ihm die ganze Geschichte mit dem Mittagessen. „Aber warum haben Sie denn nicht hier gegessen?“, fragt er erstaunt, „gleich um die Ecke ist doch ein Restaurant.“ Als ich wieder zu mir komme, klärt sich alles auf. Seit das Hotel zugemacht hat, wird in der Brauerei gekocht. Es gibt Momente, auf die man sich einfach nicht vorbereiten kann.

Notiz 5: Papierkram

November – der Monat des Papierkrams

Als Kind hatte ich ein Buch mit dem Titel „Ich, Baryk“. Baryk war ein Hund, und in jedem Kapitel erzählte er von einem Monat – so war etwa der Februar der Monat der kalten Küche oder der September der Monat der Schwalben. Aus Projektsicht wäre der November der Monat des Papierkrams.

Unerwartet mussten wir uns um zwei Beleglisten auf einmal kümmern. Zuerst haben wir auf die Anmerkungen zur ersten Projektabrechnung geantwortet, und dann haben wir die zweite Abrechnung zusammengestellt, nach einem weiteren halben Jahr Projektlaufzeit. Stellen Sie sich vor, dass Sie alles, was im Laufe eines halben Jahres in einem Projekt mit drei Kooperationspartnern in zwei Ländern passiert ist, in vier Tabellen quetschen müssen. Und zwar so, dass ein Angestellter irgendwo in einem Büro anhand der Zahlen und Stichworte versteht, was Sie machen und wie und warum Sie es machen. Das ist einfach nicht möglich, auch wenn die Tabellen noch so durchdacht sind.

Im Eifer des Gefechts verliert man leicht einmal den Grundgedanken aus den Augen, und schon sind Sie gezwungen, Erklärungen zu Tatsachen zu schreiben, die für Sie vollkommen selbstverständlich sind. Ja, wir haben an den Veranstaltungen unseres Projektpartners teilgenommen, weil der Grundgedanke unseres Projektes die Zusammenarbeit ist und wir deshalb alles gemeinsam machen. Das war einfach. Aber wie erklären Sie, dass die IKEA-Möbel entgegen der Annahme mehr gekostet haben, weil wir keine Ahnung hatten, dass man die Tischplatte und die Tischbeine extra bezahlen muss? Mit Interesse habe ich die ganze Geschichte und Philosophie des IKEA-Gründers studiert (alles ist besser, als Tabellen zu kontrollieren, oder?), und mit dem mir eigenen schrägen Humor habe ich versucht, zu berechnen, wieviel billiger es wäre, die Tischbeine selber zu machen. Schließlich habe ich zum Telefon gegriffen und einfach zugegeben, dass wir einen Fehler gemacht haben, und siehe da, es war kein Problem. Am anderen Ende der Leitung war auch nur ein Mensch, auch wenn diese Dame im Gegensatz zu mir bestimmt keine Gänsehaut beim Anblick einer Tabelle mit mehr als zwei Spalten bekommt. Aber ich habe es geschafft. Der Ordner mit der zweiten Belegliste und den Kopien aller erforderlichen Unterlagen wog schließlich 1,6 kg, wie mir die Frau auf der Post bestätigt hat. Am Kopierer habe ich wahrscheinlich mehrere Stunden verbracht, und nach und nach musste ich drei der vier Tonerpatronen austauschen.

Meine Rettung in diesem November voller Papier war der Workshop „Best Practice in den Museumsgeowissenschaften“, den unsere Projektpartner vom Senckenberg-Museum in Görlitz veranstaltet haben. Auf dem Weg dorthin haben wir im Auto noch über Themen rund um die Belegliste gesprochen, aber nach dem ersten Fachbeitrag war ich sofort in einer anderen Welt. Der Clou für mich war eine Demonstration virtueller Realität namens „Abenteuer Bodenleben“. Sobald ich die Brille aufgesetzt hatte, befand ich mich unter der Erdoberfläche, und ringsherum tauchten verschiedene überlebensgroße Doppelfüßer oder Rollasseln auf. Ein unglaubliches Erlebnis; mein Zoologenherz lachte. Als ich dann auf dem Rückweg im Zug einschlief, träumte ich, dass ich ein Hundertfüßer in einem riesigen Papierberg bin, aus dem ich nicht mehr herausfinde, und überall waren nur Zahlen. Brr!

Jetzt bin ich  gespannt auf Dezember.

Notiz 4: Projektsommer

Mitten im Sommer eine Studienreise in die Sächsisch-Böhmische Schweiz zu organisieren, war ein sagen wir einmal: gewagter Einfall. Als die Reise geplant wurde, wusste ich überhaupt noch nichts von der Existenz des Projektes, und jetzt fiel mir die Organisation dieser Unternehmung zu. Ich kam mir vor wie der Prinz im Märchen, der die Rätsel der kapriziösen Prinzessin lösen muss …

Aufgabe 1 – einen Reiseführer auftreiben. Zwei Nationalparks, das ist doch kein Problem, dachte ich mir. Aber hallo! In der Böhmischen Schweiz haben sie einen Geologen, einen ganz lieben, aber sein freidenkerischer Arbeitsansatz trieb mich während der Vorbereitungen in den Wahnsinn. In der Sächsischen Schweiz war es dann eine ganz andere Liga. Einen Geologen haben sie nicht, nur ausgebildete Führer. Die natürlich für den ganzen Sommer ausgebucht sind. Aber ich kann ihnen auf offiziellem Wege schreiben, sie prüfen mein Anliegen, geben es weiter und melden sich wieder. Nun, sie haben sich nicht gemeldet, und jetzt ist schon Oktober.

Aufgabe 2 – die Unterkunft. Ein Quartier für eine Nacht mitten in der Woche für 15 Leute in der Hochsaison aufzutreiben, ist fast unmöglich. Ich weiß schon nicht mehr, wie viele Hoteliers einen Heidenspaß an mir hatten. Zum Schluss war das Glück meiner Kollegin Renate hold, die den Besitzer einer Pension für Schulklassen überredete. Mitten im Sommer war er frei und seine Stimmung unter dem Nullpunkt. Nach einer Nacht unter seinem Dach hat mich beides nicht mehr gewundert.

Des Weiteren machte das trockene und heiße Wetter alles noch komplizierter, und auch die ständig wechselnden Vorschriften, ob man in den Wald durfte oder nicht, und die sich laufend ändernde Anzahl der Teilnehmer. Als wir uns dann endlich alle vor Ort trafen, war es wie ein kleines Wunder. Was machte es da schon aus, dass der Geologe Peter und ich aus Versehen 1,5 Stunden zu früh am Treffpunkt waren? Wir reagierten uns ab, indem wir zum Aussichtsturm (geschlossen) liefen, und waren zufrieden.

Unsere erste Station war Köglers geologische Karte. Stellen Sie sich ein steinernes Mosaik von der Größe eines mittleren Spielplatzes inmitten eines blühenden Gartens hinter einem Einfamilienhaus vor. Und dazu als Cicerone den redseligen Hausherrn, einen originellen älteren Herrn, der mit Kögler selbst verwandt ist. Behände erzählte, scherzte und gestikulierte er und schaffte es dabei sogar noch, immer wieder in seinem bezaubernden Deutsch mit Sudeten-Dialekt unsere fantastische Dolmetscherin Petra zu korrigieren.

Vor Ort war auch der Geologe des Nationalparks, der uns den ganzen Tag führte. Er war unglaublich witzig, hatte einen streunenden Hund und eine sehr spezielle Arbeitsweise. Wir haben mit ihm wirklich eine unvergessliche Zeit verbracht, etwa, als er uns in den halb überschwemmten und verschütteten Stollen eines Kalkwerks mitnehmen wollte, den zum Schluss nur er selbst und die unerschrockene Dolmetscherin erreichten. Oder als wir am Prebischtor direkt unter der Materialseilbahn bergauf gingen und er sich bloß andere Schuhe anzog und mit einem Lachen sagte: „Ich schaffe das in zehn Minuten“. Also, zehn waren es definitiv nicht, aber ein gewaltiges Erlebnis. Als er dann gegen Abend im Herzen des Nationalparks über ein Geländer und in die Felsen stieg, zogen unsere sonst so akkuraten Akademiker bloß die Augenbrauen hoch und kletterten ihm nach.

Am anderen Tag fuhren wir durch die Sächsische Schweiz, wo uns die Besichtigung des Marie Louise Stollns erwartete. Der Unterschied zwischen den beiden Stolln könnte größer nicht sein. Der von gestern war nicht zugänglich; hier waren es vorbildlich erhaltene 400 Meter mit einer 90-minütigen Besichtigung. Bei den spannenden Erklärungen unter Tage lief einem allein bei der Vorstellung der unglaublichen Plackerei der Bergleute von früher das sprichwörtliche Frösteln über den Rücken. Da freut man sich sogar über die Tabellen, die im Büro auf einen warten.

Die Studienreise haben wir auf dem Schneeberg in Děčín beendet, wo wir in einem ehemaligen Steinbruch nach Fluoriten suchten. Die Herren konnten endlich ihre Hämmer einsetzen und strahlten bei jedem Fund wie kleine Kinder.

Und was lernen wir daraus für das nächste Mal? Wenn sich ein Geologe festes Schuhwerk anzieht, macht man am besten auf dem Absatz kehrt und ergreift die Flucht.

Notiz 3: Der Umzug

 

„Dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt …“ pflegte meine Oma zu sagen. Wir sind mit unserem Projekt- und Geoparkbüro gern umgezogen. Aus einem ungemütlichen und unpersönlichen Bürogebäude in Česká Lípa in das Erdgeschoss eines Hauses auf der Hauptstraße von Mimoň. Näher an den Geopark, näher zu den Menschen, näher zur Natur.

Der Umzug selbst war eine überraschend angenehme und lustige Aktion. Und für mich vor allem eine weitere Gelegenheit, eine fast unbekannte (männliche) menschliche Spezies zu studieren – Geologen. Der Geologe ist vor allem Praktiker; in den Taschen hat er Werkzeug, und selbst als vollbärtiger Hipster kann er damit umgehen. Den Ab- und Aufbau von IKEA-Regalen beherrscht er auch ohne Anleitung bravourös; also fängt man an zu überlegen, ob man ihn nicht zu den Weltmeisterschaften im Bau des Expedit-Regals anmelden sollte. Wenn ein Geologe behauptet, dass irgendetwas irgendwo hineinpasst, dann hat er auch ohne Zollstock Recht. In das private Auto laden einem die Geologen so viele Dinge ein, dass man sich allmählich den Kopf darüber zerbrechen muss, was jetzt noch in den Transporter soll, den man für den Nachmittag bestellt hat. Des Weiteren ist der Geologe von systematischer Art, insbesondere der Museumsgeologe; alles packt er mit Vorbedacht in Kartons und hat dabei ein System. Dabei beschmutzt er sich zwar von oben bis unten, aber er weiß genau, wo was ist. Insgesamt hat mich überrascht, wie viele geologische Muster (also Steine) in unserem bescheidenen Büro versteckt waren. Sie tauchten vollkommen unerwartet an den allerunterschiedlichsten und unwahrscheinlichsten Stellen auf, und das Verhältnis von Kartons mit Infoblättern, Büromaterialien und Dokumenten zu Kartons mit Steinen war 2:1.

Als im neuen Büro außer den Umzugskartons mit den Unterlagen und den nicht wegzudenkenden Steinen auch Möbel auftauchten, lebten wiederum die Kolleginnen vom Projekt auf. Die praktische Lenka hatte einen Blick dafür, was wohin gehört, und wo immer man ihr einen Schrank hinstellte, da blieb er stehen. Da fing wiederum die Kollegin Renata an zu strahlen und dirigierte die die Möbel schleppenden Geologen so herrisch durch das Büro wie Napoleon auf dem Schlachtfeld. Als sie der Elan auch noch nicht verlassen wollte, nachdem zum fünften Mal komplett umgeräumt worden war, erklärten wir den Umzug lieber für beendet. Auch wenn mich angesichts ihrer leuchtenden Augen der Verdacht beschleicht, dass ich mich nicht allzu sehr an die jetzige Anordnung der Möbel gewöhnen sollte, ist das noch nicht alles. Ich habe einen Schreibtisch am Fenster und bin zufrieden. Aber vor allem habe ich die ganze Zeit nach dem Karton mit meinen Unterlagen und meinem Laptop gesucht, weil ich dort meine gesamte Vorbereitung der nächsten Studienreise unseres Projektes in die Sächsisch-Böhmische Schweiz habe, auf die ich mich sehr freue. Aber mehr darüber beim nächsten Mal.